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Demenz – frühe Diagnose ist wichtig

Die Diagnose einer Demenz sollte nicht leichtfertig gestellt werden. Sie löst im sozialen Umfeld des Patienten ähnlich viel aus wie eine Krebsdiagnose. Und doch ist sie wichtig, um alle Beteiligten frühzeitig aufzuklären und zu schulen.

Die Alzheimer-Demenz macht sich in ihrer leichten Form zunächst meist in den sozialen Aktivitäten des täglichen Lebens wie Ausgehen, Treffen von Freunden und Familie, Interaktionen mit Nachbarn etc. bemerkbar. Im zeitlichen Verlauf sind dann vermehrt die instrumentellen Alltagsaktivitäten betroffen. Es zeigen sich zunehmend Schwierigkeiten beim Einkaufen, im Haushalt, bei Mahlzeiten und im Führen der Finanzen. Hinzu kommen bei dieser mittelschweren Form teils schon Aphasie/Dysphasie und Apraxie. Zuletzt greift die Demenz in ihrer schweren Ausprägung auf die basalen Aktivitäten des täglichen Lebens über, dazu gehören An- und Ausziehen, Essen und Trinken, Körperpflege, Ausscheidungen und Transfer, verbunden mit Verhaltensstörungen, Unruhe und Tag-/Nachtumkehr.

Ärzte, und insbesondere die Hausärzte als erste medizinische Ansprechpartner, sind im Umgang mit Personen über 65 Jahre häufig mit einer Demenz (und hier in über der Hälfte der Fälle mit der Alzheimer-Demenz) konfrontiert. An sie werden die Geschichten zu den Problemen, die sich im Alltag stellen, vom Patienten selbst, aber viel häufiger von den Angehörigen herangetragen. Es stellt sich die Frage: Wie diagnostiziere ich eine Demenz und wann ist überhaupt der richtige Zeitpunkt dafür? Soll ich sie behandeln, und wenn ja, wie? Dr. med. Bernard Flückiger, Chefarzt Akutgeriatrie und Innere Medizin Spital Rheinfelden, gab einen Überblick.

Das Assessment

Gibt es ein erstes Verdachtsmoment, und kommen die Hinweise auch noch von einem Angehörigen, lohnt es sich, diesen direkt für die Fremdanamnese «einzuspannen». Beispielsweise mit dem Fragebogen zur geistigen Leistungsfähigkeit für ältere Personen (IQCODE), der von der Bezugsperson auszufüllen ist: Hat der Betroffene im Vergleich zu vor zwei Jahren auf einer fünfstufigen Skala mehr oder weniger Mühe, sich an Dinge zu erinnern, die Familienmitglieder und Freunde betreffen (wie Geburtstage, Berufe, Adressen)? Entfällt ihm, welcher Tag und Monat es ist? Findet er Dinge, die an einem anderen Ort als üblich verwahrt werden, schlechter? Regelt er seine Finanzen weniger sorgfältig resp. selbstständig als früher (Überweisungen, Bankgeschäfte, Rente)? Das Gesamtbild wird durch allfällige Spitex, Pflege und betreuende Ärzte komplettiert.

Selbstverständlich gilt es auch, eine saubere An­am­nese des betroffenen Patienten selbst (gerade auch hinsichtlich der eingenommenen Medikamente) durchzuführen. Drei Fragen können hier bereits erste Hinweise geben:

  • Haben Sie in letzter Zeit bemerkt, dass Ihre Fähigkeit, sich neue Dinge zu merken, nachgelassen hat?
  • Haben Angehörige oder Freunde Bemerkungen gemacht, dass Ihr Gedächtnis schlechter geworden sei?
  • Sind Sie in Ihrem Alltag durch Gedächtnis- oder Konzentrationsschwierigkeiten beeinträchtigt?

In einem nächsten Schritt sind spezifische Organleiden zu suchen. Vielleicht können zu diesem Zeitpunkt auch bereits andere wichtige Differenzialdiagnosen wie Depression, Delir oder psychiatrische Leiden ausgeschlossen werden. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich die Abgrenzung der drei bedeutsamen «Ds» der Geriatrie «Demenz, Depression, Delir» alles andere als einfach darstellt (Tab. 1). Helfen kann ein geriatrisches Assessment mit Mobilitäts-/Ganganalyse (z.B. Timed «Up and Go», TUG), Tests zu Sturzneigung (z.B. Dual Tasking), Ernährung (z.B. Nutritional Risk Screening, NRS), Stimmung (z.B. Geriatrische Depressionsskala, GDS), Sensorik, einer Medikamentenanamnese und Confusion Assessment Method (CAM, Delir-spezifisch).

Daneben stehen natürlich zahlreiche Tools zur Messung der Kognition zur Verfügung, vom Uhrentest, der zu Beginn einer Demenz recht sensitiv ist, über Mini Mental Status oder MoCA (Montreal Cognitive Assessment) – ebenfalls ein guter Test für eine frühe Demenz. Viele davon sind problemlos in einer Hausarztpraxis durchführbar.

Diagnose: Leichte Demenz – was nun?

Sind die Untersuchungen abgeschlossen, alle «Puzzle-Teile» gesammelt und deutet das Gesamtbild klar auf eine beginnende, leichte Demenz hin, sollte man sich nicht scheuen, die Diagnose auch zu stellen, trotz oder gerade wegen des Wissens um die verheerenden Konsequenzen einer solchen. Fest steht, das Wort «Demenz» hat eine ähnliche Bedeutungskraft wie «Krebs», es wird bei allen Beteiligten eine Lawine an Assoziationen, Ängsten, Befürchtungen und Unsicherheiten lostreten. Aus diesem Grund ist das Diagnosegespräch mit Patient und Angehörigen von zentraler Wichtigkeit. Nicht nur, um über das Krankheitsbild und dessen Verlauf zu informieren, den Zugang zu spezifischen Therapien zu diskutieren und Anlaufstellen resp. wichtige Ansprechpartner zu nennen, sondern auch, um frühzeitig konkrete Schritte einzuleiten, den Betroffenen und sein Umfeld auf die kommende Zeit vorzubereiten. Es gilt zu schulen, aufzuklären, zu rechtlichen und sozialen Vorkehrungen zu raten etc. «Die Angehörigen werden irgendwann an ihre Grenzen kommen, gerade deshalb ist es umso wichtiger, frühzeitig zu intervenieren, Strategien zu entwickeln und professionell zu unterstützen.»

Besteht eine gewisse Unsicherheit und lassen die Tests statt auf eine leichte Demenz vorerst eher auf eine leichte kognitive Beeinträchtigung (MCI) bei möglicher Alzheimer-Krankheit schliessen, hilft das Diagnosegespräch ebenso, um die Verdachtsdiagnose zu erläutern und z.B. zu einem Termin in der Memory Clinic zu raten. Eine antidementive Therapie ist freilich auch in diesem Fall bereits in Erwägung zu ziehen.

Diese sieht derzeit (und schon länger) folgendermassen aus: Je nach Krankheitsstadium werden Ginkgo-biloba-Extrakt, Cholinesterasehemmer oder Memantin eingesetzt (Abb. 1).«Eine antidementive Therapie sollte den Patienten nicht vorenthalten werden», so der Referent. Bei MCI empfiehlt sich zurzeit in der Regel ein Ginkgo-biloba-Präparat in der Dosierung 1× 240 mg/d. Gerade jüngere Studien haben die Wirksamkeit in dieser Indikation klar nachgewiesen. «Sie müssen zudem keine Angst davor haben, ein solches Präparat bei Antikoagulierten einzuführen, es fördert zwar die Durchblutung, ist aber kein eigentlicher Thrombozytenaggregationshemmer. Studien haben nachgewiesen, dass das Risiko für schwere Blutungen nicht erhöht ist.» Bei diagnostizierter Demenz kann ein Patch als Verabreichungsform eines Cholinesterasehemmers sehr sinnvoll sein, sofern der tägliche Wechsel kein Problem darstellt. Damit reduziert man die meist umfassende Sammlung an Tabletten, die der ältere Patient daneben bereits einnehmen muss. Auch diese sollte man übrigens regelmässig, d.h. alle drei bis sechs Monate, überprüfen. Welche Medikamente braucht der ältere komorbide Patient mit fortschreitender Demenz wirklich noch? Die Cholinesterasehemmer verzögern den Eintritt ins Pflegeheim – zwar nicht um Jahrzehnte, da die Alzheimer-Demenz nach durchschnittlich zehn Jahren ohnehin im Tod endet, aber doch um einige wertvolle Monate und Jahre. «Ich gebe die Medikamente gerne, wenn die Patienten Verhaltensauffälligkeiten zeigen. Sie beruhigen und stabilisieren. Steht z.B. nächtliche Unruhe im Fokus, kann man zudem über Circadin® (Melatonin) nachdenken. Bei der mittelschweren bis schweren Demenz kommt schliesslich Memantin zum Einsatz. Auch damit beobachten wir, dass Verhaltensauffälligkeiten günstig beeinflusst werden (z.B. das Weinerliche, das Schreien oder Umherwandern) und man spart Neuroleptika und Tranquilizer.»

Nicht-medikamentöse Strategien sind mindestens ebenso bedeutsam wie die medikamentösen. Übersicht 1 fasst sie zusammen.

So lässt sich abschliessend festhalten, dass die Alzheimer-Demenz eine äusserst wichtige Diagnose (keine Nebendiagnose!) und das Leiden selbst ein komplexes, intensiv bearbeitetes Forschungsthema bleibt, was auf weitere Fortschritte und Erkenntnisse zu Ursache und Therapie in den nächsten Jahren hoffen lässt.

Quelle: FomF Allgemeine Innere Medizin Update Refresher, 7.–10. November 2018, Zürich


Andreas Grossmann

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