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Fit für die Zukunft – die moderne Migräneprophylaxe

CGRP hat stark gefässerweiternde Eigenschaften und spielt bei der Schmerzauslösung sowie bei der neurogenen Entzündung eine zentrale Rolle. Aus diesem Wissen entstand eine ganz neue Substanzklasse, die im Kontext der bisherigen Optionen einen Quantensprung in der Migräneprophylaxe bedeutet.

Triptane, die in der Therapie der Migräne eingesetzt werden, hemmen unter anderem auch die Ausschüttung von CGRP, indem sie als Agonisten an 5-HT1-Rezeptoren wirken. Migräne zeichnet sich bekanntermassen nicht nur durch Kopfschmerzen aus. Oft ist den Patienten übel, sie sind appetitlos, haben Sehstörungen und reagieren überempfindlich auf Licht und Geräusche. Diese Symptome gehen auch mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität einher. Umso wichtiger sei es, diesen chronischen Patienten eine gut verträgliche, nebenwirkungsarme Prophylaxe anbieten zu können, so Prof. Dr. med. Uwe Reuter von der Charité Berlin am Deutschen Schmerzkongress. Das Ziel einer medikamentösen Prophylaxe bestehe darüber hinaus nicht nur darin, Häufigkeit, Schwere und Dauer der Migräneattacken zu reduzieren, sondern auch darin, die Triptan-Einnahme sowie den anderen Schmerzmittelverbrauch einzudämmen und den medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerz zu verhindern, der sich bei steigendem Schmerzmittelverbrauch einstellen kann.

Chronische und episodische Migräne reduzieren

Die Kriterien der chronischen Migräne sind er­füllt, sofern ein Patient an mindestens 15 Tagen im Monat unter Kopfschmerzen leidet und an mindestens acht Tagen davon über migränetypischen Kopfschmerz berichtet. Bei episodischer Migräne hingegen ­leiden Betroffene in unterschiedlich grossen zeitlichen Abständen an bis zu 14 Tagen monatlich unter ­Migräne.

Drei CGRP-Antikörper zeigten in Studien, dass sie wirksamer sind als Placebo und zu einer signifikanten Abnahme der Migränetage führen. Alle drei Substanzen führen bereits in den ersten vier Therapie­wochen zu einem signifikanten Therapieeffekt und sind zudem gut verträglich. Sie weisen ein Neben­wirkungsprofil auf, das sich mit Ausnahme von Reaktionen an der Einstichstelle auf Placeboniveau bewegt. Konkret handelt es sich um den für die Prophylaxe von Migräne bei Erwachsenen auf dem europäischen Markt bereits zugelassenen CGRP-Rezeptor-bindenden Antikörper Erenumab, den Antikörper Galcanezumab sowie den monoklonalen Antikörper Fremanezumab, der vierteljährlich oder monatlich verabreicht werden kann. Zwei der Substanzen, Galcanezumab und Fremanezumab, richten sich direkt gegen CGRP, während Erenumab am CGRP-Rezeptor andockt und diesen hemmt.

Ein direkter Vergleich der Wirksamkeit zwischen den drei Substanzen liegt nicht vor; Studien sind wegen unterschiedlicher Studiendesigns und Dauer kaum vergleichbar. Alle drei monoklonalen Antikörper sind wirksamer als Placebo und im indirekten Vergleich ebenso wirksam wie die bisher eingesetzten Migräneprophylaktika.

Bisherige Migräneprophylaxe: Die Dosis macht das Gift

Derzeitige prophylaktische Therapien seien ursprünglich für andere Indikationen entwickelt worden und gingen häufig mit schlechter Verträglichkeit und/oder unzureichender Wirksamkeit einher, so der Redner. Eine gute Wirksamkeit in der Reduktion von Migräneattacken weisen Betablocker auf. Allerdings seien dazu hohe Dosierungen nötig, etwa 160 mg Propranolol. «Welcher Patient toleriert schon 160 mg Propranolol?», fragte der Referent provokativ. Potenzstörungen, niedriger Blutdruck und Müdigkeit treten in dieser Dosis häufig auf. Ähnlich verhalte es sich mit dem Antikonvulsivum Topiramat, das eine Alternative zu Betablockern in der Prävention der Migräne darstellt. Bei Topiramat sei eine Dosis von bis zu 200 mg pro Tag notwendig. Bei dieser Dosis sei häufig mit unerwünschten Wirkungen zu rechnen, darunter Parästhesien, Schläfrigkeit, Schlaflosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Gedächtnisstörungen. Die übliche Dosierung, die in der Migräneambulanz der Charité verschrieben wird, liegt bei 50 mg; in dieser Dosierung liege die Wirksamkeit von Topiramat knapp über Placebo.

Zwei Tage weniger Kopfschmerzen pro Monat und Triptan-Reduktion

In der Prophylaxe der chronischen Migräne hat sich (in Deutschland) Botulinumtoxin A etabliert, das in einer Dosis von 155 oder 185 IU alle drei bis vier Monate im Bereich der Stirn, der Schläfe, des Hinterkopfs, des Nackens und der Schultermuskulatur injiziert wird.

Unter Botulinumtoxin A nehmen die Kop schmerztage um acht Tage pro Monat ab im Vergleich zu sechs Tagen unter Placebo. Der Benefit unterm Strich beträgt also zwei Tage pro Monat. Unter der Behandlung mit Erenumab kam es in Studien bei Patienten mit episodischer Migräne und durchschnittlich acht Migränetagen pro Monat zu einem Rückgang
um etwa drei Tage. Der monoklonale Antikörper Erenumab reduziert zudem Kopfschmerztage bei Patienten, die auf andere Prophylaktika nicht angesprochen haben.

Number Needed to Harm beachten

Die Wahl eines Medikaments in der Prophylaxe der Migräne hängt einerseits von seiner Wirksamkeit und andererseits von den potenziellen Nebenwirkungen, seiner Verträglichkeit sowie der Wahrscheinlichkeit, Nebenwirkungen zu verursachen, ab.

 «Die Wahrscheinlichkeit, einem Migränepatienten (chronische oder episodische Migräne) mit Erenumab zu helfen, ist sehr hoch», sagte Prof. Reuter und verwies auf eine gerade veröffentlichte Studie im Journal Cephalagia [1]. Sie ist wesentlich höher als mit den bisher verwendeten Prophylaktika. Zudem liegt die Number Needed to Harm, also die Zahl der behandelten Patienten, die es braucht, um eine Nebenwirkung zu produzieren, unter Erenumab auf Placeboniveau, mit Topiramat bei 13 und mit Botulinumtoxin bei 39.

Zusammenfassend gäbe es keinen Grund (ausser den monetären), Migränepatienten die neue Prophylaxe vorzuenthalten, so Prof. Reuter.

Die medikamentöse Prophylaxe der Migräne bildet Tabelle 1 ab.

Quelle: Deutscher Schmerzkongress, 17.–20. Oktober 2018, Mannheim (D)

Literatur

  1. Vo P, et al.: Benefit-risk assessment of erenumab and current migraine prophylactic treatments using the likelihood of being helped or harmed. Cephalalgia 2018 Sep 19: 333102418801579.

Weiterführend:

  • Reuter U, et al.: Efficacy and tolerability of erenumab in ­patients with episodic migraine in whom two-to-four pre­vious preventive treatments were unsuccessful: a rando­mised, double-blind, placebo-controlled, phase 3b study. Lancet 2018 Oct 22. DOI: 10.1016/S0140-6736(18)32534-0 [Epub ahead of print].

Dr. med. Anka Stegmeier-Petroianu

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